Sonntag, 25. April 2010
CHARTRES
Heute früh bin sind wir, Schwester Stefana, Schwester Regina und ich, nach Chartres gefahren. In den Sonntagmorgen hinein. Die Straße war voller Vögel und wir mußten aufpassen, sie nicht zu überfahren. Sogar zwei Enten waren darunter. Meine Hände noch voller Creme und das Herz aus Bergkristall über dem Bauchnabel.
Bei der Ankunft im Hof unserer Unterkunft frage sie mich, mit welchem Auto ich denn herkommen sei, mit dem schwarzen? Es klang fast wie eine Feststellung.
“Nein”, erwiderte ich deshalb schnell eifrig unbedacht, “mit dem fliederfarbenen Marea.”
Unsere erste Gesangsübung war das Hallelujah.
Blaurote Enthüllung der zwei Engel - Enthüllung des Keimes
Montag, 26. April 2010
Am frühen Morgen:
Jemand hat eine rote Blume am Südportal niedergelegt
Das mittlere Tympanon des Westportals: Der Erlöser, aus dem Mandorla-Keim heraustretend, umgeben von den vier geflügelten Evangeliensymbolen, den vier Tieren.
Der Mann mit dem goldenen Sternenohring fragte mich nach meinen Namen.
Unsere Lehrerin sang überirdisch. Unbeschreiblich. Sphärenklänge.
Und unser Führer sprach davon, daß er der Kathedrale mit ihrer Kraft, Maria, diene.
Der Schwan. In einem der vielen kleinen Wasser, die den Hügel mit der Kathedrale umfließen.
Wir sangen:
Ich bin das A und O,
der Anfang und das Ende.
Dienstag, 27. April 2010
Das Tor steht offen:
“Vorsingen, Nachsingen -
das ist der Weg.”
Maria Walpen
Liebfrauenmilch
Junge Pilgerinnen vor dem Königsportal
Sammelte alle Federn, die auf dem Weg lagen und sonst niemand aufgehoben hat. Die ganzen Tage lang.
Wir haben gesungen:
Und solange Du das nicht hast
dieses stirb und werde!
Bist Du nur ein trüber Gast
auf der dunklen Erde!
J. W. Goehte
Schwarze Mutter - in der Krypta
Was für ein gewaltiger, kraftvoller Ort. Kein Sprechen mehr. Schwarz. Als zöge es einen tief tief bis in das Zentrum der Erde hinab. Es war sehr existentiell. Archaisch. Das Urweibliche.
Später hatte ich das Bedürfnis alleine für mich sein zu wollen. Jedes Gespräch schien zu viel.
L’ombelle, das heißt “die Dolde”.
Donnerstag, 29. April 2010
Ich habe geträumt, daß die Menschen große Kristalle mitgebracht haben, um sie am Fuße des Nordportals der Kathedrale einzumauern. Dort, wo die Säulen sind, vor dem Torbogen. Das sah wunderschön aus.
Und: Der goldene Sarg steht offen...
Die Vögel, die unter der Decke fliegen, haben die Kinder gebastelt, erzählte er mir.
Begegnung mit Prem beim Morgenspaziergang vor dem Frühstück
Eigentlich wollte ich durch das Fenster hinein in das Atelier fotografieren - der hohe Raum hatte mich wegen der Steinbüsten fasziniert -, da sah ich plötzlich, daß sich jemand in dem Raum befand und noch ehe ich voll Scheu zurückweichen konnte winkte er mich schon lachend zu sich herein.
Er restauriert die berühmten Figuren der Kathedrale.
Im Ofen, bereit zum Brennen, stand ein kleiner Schoßhund, den ebenfalls “les enfantes” geformt hatten. Und auch eine schwangere Frau mit einem dicken Bauch. Das Ohr vom thronenden Jesus des Westportals lehnte wie horchend daran.
Hier fand ich es am schönsten, wäre ich am liebsten geblieben. Das ist es, wohin es mich zieht. Ich verstand ihn ausgezeichnet, obwohl er nur französisch mit mir gesprochen hat.
Spaziergang in der Stadt
Wir sangen auch:
Wechselnde Pfade
Schatten und Licht
alles ist Gnade
fürchte Dich nicht.
Ich fand das Haus mit dem Rosenstock vor dem Fenster zur Straße, der aprikosenfarben blüht. Ich hatte von ihm geträumt gehabt. Es war in der Rue au Lait, in der Milchstraße. Es hat die Haus Nummer 9 und ist zu verkaufen.
Die Rue au Lait hat genau 22 Häuser.
Abends hatten wir Gelegenheit das Labyrinth zu begehen. Als die Tore der Kirche geschlossen worden waren räumten wir deshalb schweigend die Stuhlreihen beiseite. Wir stellten uns im Kreis um das Mandala und sangen. Wir sangen das Hallelujah. Das Kýrie eléison. Herr erbarme dich. Einer ging nach dem anderen bis wir uns schließlich alle im Zentrum der Blumen befanden.
Beim Einschlafen ist mir folgendes Lied wieder eingefallen:
Fest soll mein Taufbund immer stehen.
Freitag, 30. April 2010
Sternengewölbe. Licht. Abstieg vom Dachgeschoß. Woher kommt der Stern?, fragte uns unser Führer. Die Antwort, die er uns wiederum selbst gab, lautete: Von der Venus. Er verwieß in diesem Zusammenhang auf die heutige Nacht und auf eine bestimmte Uhrzeit, es war, glaube ich, 22.10 Uhr.
Heute konnten wir das Dach und den Dachstuhl der Kathedrale besichtigen. Wir durften auch, einer nach dem anderen, von einer runden Öffnung auf dem Boden des Dachstuhls von hoch oben genau in das Zentrum des Labyrinthes, in die Mitte der Blume, blicken, während der Rest der Gruppe gleichzeitig leise dazu sang. Ich ahnte nicht, was mich erwarten würde. Gelbes Licht. Sanfte Bewegungen. Summen. Menschen, ganz klein, die langsam, Schritt für Schritt, den Weg des Labyrinthes gingen. Jemand hatte auf den Boden genau in die Mitte der Blume eine Kerze gestellt. Wind. Wind von unten, wehte in mein Gesicht und wirbelte die langen Haare rechts und links nach oben, als würde es von einer sanften Hand, einem unendlich zarten Hauch, berührt.
Es ist heilig, heilig, heilig.
Heilig bist Du, Ursprung der Welt.
Heilig bist Du, Ziel aller Wege.
Heilig bist Du, ewige Gegenwart.
von Jörg Zink
Ich habe von dem Labyrinth geträumt. Das Gefühl, durch das Labyrinth zu tanzen. Wie in einem wankenden Schritt. Und dieser Tanz war auch in mir, hin und her, gleich der Brandung des Meeres. Ich sah auch Menschen, die sich tanzend in dem Labyrinth bewegten, immer näher zu dem Zentrum hin.
Samstag, 1. Mai 2010
Wieder daheim lag ein großer Frosch auf meinem Platz am Eßtisch. Damit ich ihn küsse.
Schwester Regina und Schwester Stefana haben ihn auch gesehen. Ich hatte sie mitgenommen.
CHARTRES
Mittleres Fenster unter der Fensterrose des Westportals
Es ist ein Reis entsprungen. Eine Rose.
Als öffneten die beiden Engel rechts und links eine Mandel.
Den Schnittpunkt zweier Kreise, der sich mehr und mehr vergrößert.
Die Farbe von Chartres ist türkisblau.
Chartres ist: Türkis.
Ein funkelnder, türkisblauer Edelstein.
Die Erklärung der wunderbaren Fenster des Westportals bildeten einen Höhepunkt der Reise.
Fenster Nummer 61 an der Nordseite:
Josephs Traum:
Sonne und Mond und elf Sterne leuchten singend dem Schläfer
Die auf ewig verbundenen Fische. Links darunter ein dreigesichtiger Mann.
Ich war für eine Woche in Chartres gewesen um die berühmte Kathedrale mit dem Labyrinth zu besichtigen und gemeinsam mit anderen Choral zu singen. Unser genialer Führer war Wolfgang Larcher und eine Einführung in das Choralsingen lernten wir unter der Leitung der präsenten und sonnengleichen Opernsängerin Maria Walpen. Gemeinsame Atemübungen mit Liselotte Häberli haben das dichte Programm abgerundet.
Ich selbst kann eigentlich gar nicht gut singen. Trotzdem war es wunderschön und eindrücklich. Es war auch anstrengend für mich, denn die Wochen davor waren im Geschäft und nebenher - beim Malen - sehr arbeitsreich und ich hatte deshalb Mühe erst irgendwie dort “anzukommen” und nicht bei jeder erstbesten Gelegenheit vor Erschöpfung einzuschlafen.
Mit Chartres, genauer mit dem Nachfahren des Labyrinthes an einem Abend nach der Arbeit auf dem Sofa und dem Betrachten der wunderbaren Fenster, habe ich auch einmal das Fahrbuch begonnen.
Sonntag, 2. Mai 2010
Silberfahne
Heut sah ich einen Reisebus aus Gnadenberg auf der Autobahn. Das Gnadenberg, wo ich schon einmal war. Reisen mit Herz, stand darauf zu lesen. Auf seiner Längsseite waren vergrößerte Gemälde von Vincent van Gogh zu sehen, zum Beispiel Der Sämann und das Bild Vase mit Sonnenblumen.
Montag, 3. Mai 2010
Zärtlich sein mit den
eigenen schönen Tagen.
Das Kalenderblatt heute: Die Olivenbäume von Vincent van Gogh. Wunderschön.
Wie der Tag anfängt:
Mit dem Zeitwurf (zum ersten Mal).
Mit dem Tomatenwurf... (anschließend)
Dienstag, 4. Mai 2010
Ich habe heimlich eine kleine, weiße Daunenfeder auf seine dunkelblaue Fleece-Jacke getan. Genau an die Stelle, wo sich das Herz befindet.
Ich habe geträumt, daß eine rote Stielrose aus Seide im Bett auf dem weißen Kopfkissen neben meinem liegt.
Donnerstag, 6. Mai 2010
Ich habe geträumt, daß viele dünne hellbraune Raupen oben auf meinen braunen Haaren sind.
Samstag, 8. Mai 2010
Ich träumte von einem großen, schmiedeeisernen Topf, bis zum Rand gefüllt mit cremigsten, dampfenden Milchreis.
Sonntag, 9. Mai 2010
“In der Mitte, die Blume in der Mitte des Labyrinthes, das bist Du.”
Montag, 10. Mai 2010
Während ich schlief betrachtete er mein Gesicht, um in meinen Träumen zu lesen.